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Der demografische Wandel und die anstehende Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst lassen der Verwaltung gar keine andere Wahl als sich zu modernisieren. Die heimlichen Stars digitaler Amtsstuben seien die Mitarbeiter: sie müssen mitgenommen werden und sich einbringen können, fordern der ehemalige saarländische Staatssekretär Christian Ege und der Berater Tim Arnold de Almeida. Dazu brauche es unter anderem dezentrale Innovationsteams und -budgets sowie eine kommunikative Aufwärtsspirale.
Die meisten Veränderungen beginnen mit einem offenen Eingeständnis: „You can lead a horse to water but you can’t make it drink.“ Das englische Sprichwort bringt auf den Punkt, dass man niemanden zu seinem Glück zwingen kann. In der Realität wird das gerne ignoriert.
Das Bund-Länder-übergreifende Zusammenwirken für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) zeigt, welche guten Ergebnisse die Beteiligten zusammen erreicht haben. Es steht aber auch dafür, wie lange es dauern und was es kosten kann, bis im föderalen Subsidiaritätsprinzip die Fragen „wer hat was erfunden“ und „wer muss was bezahlen“ geklärt sind. Dort hakt es oft.
Nicht nur in den Sitzungen im IT-Planungsrat dürfte die entscheidende Frage daher lauten, wie die Modernisierer der öffentlichen Verwaltung die digitale Transformation beschleunigen können, indem sie aus den kritischen Punkten der bisherigen OZG-Umsetzung lernen. Wie entsteht mehr Durst auf digitale Transformation und Erneuerung, damit aus dem hohen Mitteleinsatz schneller mehr greifbare Ergebnisse entstehen?
Pensionierungswelle als Treiber digitaler Verwaltung
Die Haupttriebfeder der digitalen Transformation ist der demografische Wandel der öffentlich Bediensteten. In diesem Jahrzehnt gehen mit über 1,3 Millionen mehr als ein Viertel der fünf Millionen Mitarbeiter in den Ruhestand: im Bundesbereich 111.000, bei Ländern und Gemeinden jeweils über 400.000. Parallel wird das Angebot am Arbeitsmarkt knapper, weil in Deutschland bis 2030 etwa 11,5 Millionen Babyboomer das Rentenalter erreichen und zeitgleich nur etwa 7,5 Millionen Menschen neu in den Arbeitsmarkt eintreten.
Die Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst wird zur Triebfeder der digitalen Transformation und erübrigt zudem die althergebrachte Sorge, Digitalisierung führte zum Verlust von Arbeitsplätzen. Dafür birgt sie zwei große Chancen. Erstens werden sich Verantwortliche und Mitarbeiter in der ganzen Breite der Verwaltung fragen (müssen), wie in ihrem Bereich gesetzliche und freiwillige Leistungen zukünftig mit weniger Kollegen und dafür mit (teil-)automatisierten Verfahren erbracht werden können. Zweitens haben erfahrene Kollegen, neue Mitarbeiter und Quereinsteiger die Möglichkeit, bewährte Strukturen digital neu zu denken und zu gestalten, mit dem Blick von außen: der Nutzerperspektive.
Drei Säulen digitaler Verwaltung
Die Digitalisierung der Verwaltung braucht ein Geschäftsmodell, bestehend aus drei Säulen. Die erste Säule sind die Mitarbeiter, die den digitalen Wandel in ihren Bereichen wollen und gemeinsam mit zentralen Unterstützern und Instrumenten umsetzen, weil man sie machen lässt. Das führt zur zweiten Säule, denn nur wenn die erste umgesetzt wird, werden digitale, sichere IT-Plattformen und KI-Technologien entstehen. Sprich: die Arbeitsumgebung der Zukunft, die es braucht. Diese muss wiederum als dritte Säule aus der Nutzerperspektive heraus entstehen, mit einfachen Prozessen, Organisationsstrukturen und nötigen Änderungen für Gesetze und Verordnungen.
Diese drei Perspektiven verdeutlichen, dass Führungsverantwortung für die erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung auf mehreren Schultern ruht: auf dem CIO beziehungsweise CDO, den Fachbereichsspitzen sowie den Zentralabteilungen. Wie können sie gemeinsam in die gleiche Richtung wirken?
Die Stars der Digitalisierung sind die Mitarbeiter
In der Verwaltung sind es vor allem die Mitarbeiter (und die Bürger), die am besten wissen, ob eine digitale Anwendung Nutzen stiftet und, wer von ihr profitiert und wer nicht. Doch wissen sie auch, dass sie selbst in der Verantwortung stehen, mit Methoden der Digitalisierung ihren Arbeitsbereich zu verbessern und zu modernisieren?
Wissen, wie Digitalisierung prinzipiell funktioniert, bedeutet leider nicht automatisch, dass mit dem Handeln begonnen wird. Damit Mitarbeiter ihre Bedeutung und Verantwortung erkennen, sollte eine greifbare, zentrale „Mission Digital“ gemeinsam von Führung und Mitarbeitern definiert werden, die dafür sorgt, dass Kräfte gebündelt und auf die gemeinsamen Ziele ausgerichtet werden. Dazu muss sie den Anspruch haben, mehr zu sein als die Sammlung der vielen Einzelteile aus Ressortabfragen.
Vom Wissen zum Handeln: Digitalisierungsallianz und Innovationsbudgets
Für die Digitalisierung der Verwaltung kommt es auf Wissen, Tatkraft und Unterstützung vieler dezentraler Einheiten an. Eine Digitalisierung „par Ordre du Mufti“ stößt an Grenzen, sobald eine der folgenden Zutaten fehlt.
Mit einem dezentralen „Team Digital“ kann jede (Haupt-)Abteilung hingegen eine eigene, kleine Innovationsgruppe zusammenstellen. Zusammen mit den Fachkollegen werden so schlummernde Potenziale offengelegt, digitale Prozesse neu gestaltet und mit juristischem Regelwissen und etwas IT-Verständnis auf die digitale Implementierung vorbereitet. Die Zeit ist reif für eine übergreifende Digitalisierungsallianz der Mitarbeiter.
Dezentrale Innovationsbudgets sind ein weiterer Schlüssel zum Digitalisierungserfolg. Dazu zählt auch deren personelle Begleitung – eigenverantwortlich und im Gleichklang mit der „Mission Digital“. Nur so lässt sich der Teufelskreis durchbrechen, dass innovatives Handeln zur Erhöhung der eigenen Leistungsfähigkeit nur zusätzliche Arbeit bedeutet und künftig auch noch als Begründung für eine Ressourcenkürzung herhalten muss.
Vorsicht vor digitalem Beton: Prozesse, Regeln und Paragrafen neu denken
Neue Digitalisierungslösungen werden erfolgreich, wenn bestehende Aufgaben und Abläufe nicht eins zu eins digital implementiert, sondern zuvor auf den Prüfstand gestellt werden. Ohne eine innovative und kritische Auseinandersetzung mit der Nutzer- beziehungsweise Anwendersicht bringt das beste juristische und informationstechnische Wissen zur Prozessgestaltung wenig. Dafür sind die Motivation und Flexibilität der an der Umsetzung Beteiligten genauso bedeutsam wie die Bereitschaft, gesetzliche Regelungen und Verordnungen zu verändern. Andernfalls werden überkommene Regelungsgeflechte zusätzlich digital zementiert.
Doch auch die Grenzen müssen mitgedacht werden. Es ist zu klären, bis zu welchem Grad eine Verwaltung digital sein und wo sie ihre analogen Stärken bewahren soll. Eine Verwaltung muss in der Lage sein, kritischen Vorbehalten, beispielsweise gegenüber KI-Anwendungen, sowie Sicherheits- und Digitalisierungsaspekten transparent und nachvollziehbar begegnen zu können.
Vertrauen entsteht durch Ausprobieren, Fehler machen und korrigieren
Mit der digitalen Transformation muss eine kommunikative Aufwärtsspirale entstehen, die Erfolge klar benennt und die Leistungen dahinter wertschätzt. Denn nur wenn das Erreichbare anziehender wird als das Verhinderbare, werden immer mehr Kollegen den Mehrwert erkennen und aus sich selbst heraus die Digitalisierung vorantreiben.
Mit der Devise „Versuchen, was möglich ist“ entsteht ein neues Vertrauen in die Digital-Teams und die nächsten Vorhaben. Zweifelsohne werden dabei Fehler passieren, die aber gesehen, verstanden, beseitigt und verarbeitet werden können. Fragen und Folgen von Neid, Macht und Bedeutung müssen entsprechend von vorneherein thematisiert werden. Nur so kann die „Gruppe der Veränderer“ sicher sein, dass sie nicht ihre eigene Karriere aufs Spiel setzen, während die fehlende Unterstützung aus der „Gruppe der Abwartenden“ folgenlos bleibt. Eine jede Führungskraft auf allen Ebenen ist in der Verantwortung, dies sicherzustellen.